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Randland

Zu: Randland

Text von Ute Schirmack

Randland. Eine Foto-Ausstellung über Ränder, Begrenzungen. Und damit ebenso über Anfänge, Übergänge und Passagen. Das Land, dessen Ränder und Grenzen Andrea Brehme passiert, ist das ehemalige Zonenrandgebiet im Wendland einerseits. Fotografiert und aufs Papier gebracht in den Jahren 2004 und 2005. Andererseits ist es ebenso Berlin, die Stadt, in deren Westen Andrea Brehme aufwuchs. Von der aus sie in den Jahren von 1973 bis 1989 beinah jedes Wochenende und in den Ferien nach Eitzum pendelte. Eitzum und Berlin-Wilmersdorf. Das sind die beiden Pole, die Andrea Brehme in ihrer fotografischen Reise reflektiert, jetzt mit den Augen der Erwachsenen, durch das Normalobjektiv der Kamera gefiltert, auf Kleinbildabzügen konzentriert.

Stadtlandschaften, „Landlandschaften“. Im zweiten Stock erwartet Sie eine schwarz-weiß-Fotogruppe mit „beunruhigenden Idyllen“. Eine vermeintlich offene Landschaft wie die Wiese mit Löwenzahnbüschel wird von einer nur zart am oberen Bildrand konturierten Baumreihe begrenzt. Im Kontrast dazu: Ein Foto, auf dem Baumstämme eines Buchenwaldes wie Zaunlatten aufgereiht stehen. Der lichte Buchenwald, vor dessen schwarz-weißer Silhouette der Betrachter vorneweg stehen bleibt. „Wir müssen leider draußen bleiben“, lautet die unmissverständliche Absage an den Betrachter. Naturidyll Wald, in dem der Betrachter sich in romantischer Tradition selbst intensiv empfindet und dadurch im Naturerlebnis überhöht, das funktioniert in Andrea Brehmes Randlandschaften jedenfalls nicht mehr. Die Natur zeigt ihre Grenzen auf, Andrea Brehme hat sie in ihren Fotos gefiltert und herausgearbeitet.

Der Kontrast von Innen und Außen, Rand und dem Diesseits und Jenseits der Grenzen ist bereits in den Landlandschaften angelegt. Die Stadtlandschaften aus Berlin dagegen greifen das Thema auch formal stringent auf: Die Natur findet nur skizziert durch den Schattenwurf eines Astes und noch viel zartere Blätterschatten auf einer Gebäudewand statt. Das Bild mit dem Fenster mit Spitzgiebeln als Gotikzitat ist widersprüchlich in sich: Ein Kirchenfenster? Dafür müsste die Fensterform viel höher, weiter, offener sein. Ein weißer Rand begrenzt das Fenster hart. Tatsächlich zeigt das Foto ein Fenster an der Rückseite des Krematoriums Wilmersdorf. Es ist ein Memento Mori im eng gesteckten Rahmen. Des Bildausschnittes, des Abzuges, der Rathaus-Wände mit den unterbrechenden Türen als überdimensionalem Rahmen.

Nichts ist, was es zu sein scheint. Die beiden Dreierserien im ersten Stock variieren das Thema der durcheinander geratenen Idyllen. Die Natur ist wieder „verschlossen“, Laub wirkt wie ein Vorhang vor einer Hütte im Wald, wenn nicht gar wie eine Wand aus Laub. Das Foto ist in Eitzum aufgenommen – eine Hütte im Wald, die keineswegs zum Betreten animiert. Assoziationen an verlasssene Wanderhütten, in denen unangenehme Ereignisse sich abspielen könnten, kommen auf.

Dagegen gesetzt sind Gebäude in Berlin, Parkhauseinfahrten, Räume, die ins Dunkel führen und trotz ihrer wuchtigen Bauweise deutlich einladender wirken als die Naturbilder. Andrea Brehme schafft es, Paradoxes in ihren Bildern, schon in deren Aufbau, sichtbar zu machen. So wirken die „Einfahrt verboten“-Situation oder die Parkhauseinfahrt im

 

 

Gebäudekomplex Schlangenbader Straße mit seiner Autobahnüberbauung offen, in das Bild hineinziehen, wenn nicht gar einladend.

Im Kontrast dazu stehen wieder die Feld-Ansichten aus Eitzum. Geknickte Halme, von Sturm und Unwetter geplättetes Korn auf einem Feld. Eine von Mensch und Maschine geschaffene Nutzlandschaft, die Unsicherheit vermittelt.
Die formale Begrenzung des Feldes durch einen Waldsaum am oberen Bildrand oder durch einzeln aufragende Pflanzen am unteren Rand bietet in den Bildern nur eine sehr begrenzte Sicherheit. Selbst die Gewissheit, die fotografischen Zeichen entschlüsseln und das gesamte Zeichensystem lesen zu können, ist verloren gegangen: Das geplättete Korn ist als solches kaum erkennbar. Es könnte sich einfach um biomorphe Strukturen handeln, die nur noch entfernt an Pflanzen erinnern.

Bitte zurückbleiben bei der Abfahrt des Zuges: In ihrer dritten Themengruppe nimmt uns Andrea Brehme direkt mit auf die Zugfahrt von Berlin nach Schöppenstedt und retour. Der von ihr als Wartesaal erlebte Ausstellungsraum im 1. Stock inspirierte Andrea Brehme, die etliche Male gemachte Fahrt mit der Kamera in der Hand für diese Ausstellung zu wiederholen. Unscharfe Gebäude säumen die Ausfahrt aus der Großstadt, Eigenheime, Silos und ein Betonwerk. Die Reise führt durch ein immer enger und bedrängter wirkendes „Spielzeugland“, das eigentlich nie zu enden scheint. Der Halt am Bahnhof Schöppenstedt ist lediglich ein Zwischenhalt, die Reise führt zurück zum Bahnhof Zoo. Und es dauert geraume Weile, bis der Blick des Betrachters sich vom Bahnhof Schöppenstedt und seinem tristen Umfeld lösen und in der Landschaft wieder in die Ferne schweifen darf -die Stadt versteckt sich hinter ihren Garagen, Silos und Industriehöfen. Einen farbigen und sehr scharfen Ruhepunkt und Abschluss der Reise bildet logischerweise erst wieder die Ansicht der haltenden Lok und des DB-Waggons auf dem Bahnhof Zoo. Die Dynamik der Bewegung, trotz ihrer teilweisen Zähigkeit und wenig starken Farben, findet ihre Entsprechung in den Abzügen und ihrer Präsentation: Die Fotos selbst greifen mit weißen Rändern den gerahmten Blick des Reisenden aus dem Abteilfenster heraus auf; die häufig in der Bewegung verwischten sind nicht aufgezogen und können sich in der Luft bewegen.

Andrea Brehmes Fotos lösen starke Emotionen und Reaktionen aus. Manche sprachen von Verbrechen und Unheil bei den Waldbildern. Andere von der Zähigkeit der Reise, die in all der Bewegung der schnellen Zugfahrt verborgen liegt. Assoziationen, die Andrea Brehme gewiss nicht unpassend erscheinen, sind doch Bewegung, Unruhe und auch das Nicht-Aufgehobensein charakteristisch für jede Art von Passage, Reise und für das Überschreiten der Ränder und Grenzen. Natürliche Konsequenzen des Sich-Einlassens auf den Übergang.

Andrea Brehme zeigt Bilder, die in all ihren Variationen weit über den Rahmen, den Rand, die eigenen Begrenzungen hinausweisen. Die Unsicherheit und damit ebenso Offenheit erzeugen. Das ist Kunst im besten Sinne: Nicht vorgefertigte Bilder zu wiederholen, sondern Situationen zu schaffen, die jeden Betrachter selbst zum Nachspüren und Denken auffordern. Bequem und gewohnt ist das nicht. Ränder und Länder neu zu erkunden in diesem Fall, in dieser Ausstellung. Aber hat jemand je behauptet, dass Kunst bequem sein solle?

Ausstellung "Randland"

foto: A. Rieck
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foto: A. Rieck
foto: U. Schirmack
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foto: U. Schirmack
foto: A. Rieck
foto: U. Schirmack
foto: A. Rieck
foto: A. Rieck

Randland

2004 – 2005/ 2005
Eine Arbeit über Grenzen.
Form/Format:  s/w-PE-print 40 x 60 cm (11 Bilder), s/w-PE-Print 60 x 90 cm (1 Bild),
c-print 60 x 90 cm (1 Bild), Alu - diBond
c-print 24 x 30 cm (20 Bilder)
Negativ - Kleinbild
Präsentation: Rathaus - Samtgemeinde Schöppenstedt, Markt 3, 38170 Schöppenstedt
Ausstellung: 2.September 2005 – 30.September 2005 // Einzelausstellung